Anfragen und Diskussionen über Renten, Kapital, Investments erreichen mich meistens in Wellen. Es gibt mannigfaltige Triggerpunkte, die das Bedürfnis nach Information und Beratung steigen lassen. Kulminieren dann solche Ereignisse mit persönlichen Unpässlichkeiten, Problemen am Arbeitsplatz oder politischen Gegebenheiten, dann ist schon mal eine deutliche Angespanntheit erkennbar.
In diesem Blogbeitrag möchte ich, der aktuellen Situation geschuldet, eine Schmähschrift verfassen. Versuchen, Gedanken in Worte zu fassen, die, wenn man sich so etwas umhört, in vielen Köpfen herumgeistern. Manchmal nur in Ansätzen, bisweilen aber auch deutlich ausgeprägter vernehmbar.
PS: Da auch ich meinen Beitrag zur sprachlichen Integration von allen denkbaren Geschlechtern oder Nicht-Geschlechtern leisten möchte, werde ich von nun an versuchen, konsequent den Doppelpunkt als Integrationskennzeichen zu verwenden. Man möge mir den einen oder anderen Anfangs-Patzer verzeihen.
Zwei der drei Kurzgeschichten spielen in der Vergangenheit. Das Warenhaus existiert zwar noch, unterscheidet sich aber kaum mehr von den anderen. Die Kundenberatung ist so schlecht und recht wie anderswo. Und die goldenen Uhren, der Bau von Sportplätzen und die Alimentierung der Gesangsvereine sind verschwunden.
1 Prozent der Gesellschaft besitzt unterdessen 99 Prozent der Vermögen. Superreich ist erst jemand, wenn er oder sie ganze Länder aufkaufen könnte. Steuern bezahlt quasi nur noch das Einkommen, Vermögen bleiben vielerorts steuerlich unangetastet, oder werden von Winkeladvokaten vor dem Fiskus versteckt. C-Kader verdienen auch schon mal 800-mal soviel wie diejenige Lohnempfänger:in mit dem niedrigsten Lohn in einer Firma. Ein Grossteil der jungen Familien in der Schweiz können sich kein Eigenheim mehr leisten. Ausser sie kriegen eine Anschubfinanzierung durch ein Erbe oder ähnliches. Das heisst, es erwächst eine ganze Generation von hart arbeitenden Menschen heran, die kaum je eine Chance bekommen werden, zu mittlerem Wohlstand zu gelangen.
Die Perversion geht soweit, dass z.B. in den Amerikanischen Evangelikalen Gesellschaftsstrukturen Reichtum als von Gott wohlgefällig deklariert wird. Das heisst, Reiche seien in den Augen von Gott bessere Menschen, als Arme. Was dann in diesen, sich als gottgefällig sehenden Menschen, die Idee von Recht erweckt, die ärmeren, also weniger gottgefälligen Menschen, unterdrücken und vom monetären Reichtum und politischem Diskurs abschneiden zu dürfen. Nur wer Geld habe, habe auch politische und gesellschaftliche Rechte.
Aber man muss nur vor die Haustüre schauen, um sich zu wundern. Bei einem der grössten Arbeitgeberinnen in der Schweiz wurde jüngst postuliert, dass über 40 Jahre alte, deutschsprechende, männliche Arbeitnehmer dem Unternehmen keinen Mehrwert mehr darbrächten. Sie seien, im wahrsten Sinne des Wortes: Altlasten. Was rasch als Kommunikationspanne und Missverständnis versucht wurde zu deklarieren, hat verständlicherweise nicht nur bei den direkt Betroffenen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das hochprofitable Unternehmen verteilt auch schon lange keine goldenen Uhren mehr. Zumal es kaum mehr eine Arbeitnehmer:in schafft in die ordentliche Pension zu gehen. Die allermeisten werden vorher frühpensioniert. Dasselbe Unternehmen alimentiert auch keine Gesangsvereine mehr, sondern sponsert nur diejenigen Tätigkeiten und Veranstaltungen, die der Marke nützlich sind.
Die Mitarbeiter:innen sind zu einer Sache verkommen.
Noch gibt es viele Unternehmen, Kader und selbsternannte Wirtschafteliten, die die aufkommenden Zeichen der Zeit nicht erkennen, oder diese ignorieren. Die Schuld für fehlenden Erfolg wird dort weiterhin bei den Arbeitnehmer:innen, Kund:innen oder Drittfaktoren verortet. Diese Unternehmen messen sich auch heute noch ausschliesslich am Ertrag, dem Aktienkurs und der Ausschüttung an die Shareholder:innen. Ihnen ist primär egal, was die Kund:innen oder Mitarbeiter:innen wollen.
So werden hochprofitable Unternehmen auch weiterhin von selbstdeklarierten Wirtschaftskoryphäen an die Wand gefahren. Und weiterhin werden solche Dilettant:innen von der Wirtschaft hofiert und reingewaschen.
Doch es gibt frische Hoffnung. Eine neue, Generationen-übergreifende Denkweise nimmt sich langsam wieder Raum in der Wirtschaft und Gesellschaft. Strukturen, die als sakrosankt angesehen waren, werden stückweise aufgebrochen. Das Wohl der Mitarbeiter:innen gilt partiell wieder mehr, als die Maximierung des Ertrags. Neue Arbeitsmodelle, wie die 4-Tagewoche, Home-Office, etc. sind nicht mehr des Teufels.
Das geschieht grösstenteils noch keinesfalls freiwillig. Sondern es sind die Markteilnehmer:innen, die diesen Druck ausüben.
Grossbanken, die sich nur noch dem Grosskapital und dem Investmentbanking verschrieben hatten, gelten bei der Masse als giftig und werden verschmäht. Deren C-Level verdienen zwar immer noch 800-mal mehr als die Reinigungskraft, aber der Unternehmenswert dieser Banken fällt ins Bodenlose. Die Shareholder:innen beissen sich in den eigenen Arsch.
Unternehmen, die die Mitarbeiter:innen weiterhin als unpraktische Kosten betrachten - wie dasjenige von dem ich oben berichtete - beklagen sich über Fachkräftemangel und über eine beschädigte Reputation. Ungelüftete, ungekühlte Grossraumbüros, wo 50 und mehr Personen eingepfercht sind wie Masthühner, werden als eben dies benannt. Kaum jemand will dort noch arbeiten. Selbst Eltern raten ihren Söhnen und Töchtern, nicht in demjenigen Unternehmen zu arbeiten, in dem sie selbst tätig sind oder waren.
Ganze Heerscharen von hochbezahlten Berater:innen - aus obigen Universitäten - versuchen krampfhaft die kaputten Reputationen von Unternehmen zu kitten, die sie vorher im Maximieren des Shareholdervalues beraten hatten.
Und selbst ehemalige Hochglanzwirtschaftsanwälte, die als unantastbar in ihrem ekligen Tun galten, enden nun vor Gerichten und werden als Betrüger verurteilt.
Vor über 30 Jahren hat einer meiner Mathematiklehrer in der Berufsschule folgende Weisheit von sich gegeben Ihr könnt noch so hart und lange arbeiten, irgendwann wird sich jemand mit einer Krawatte vor euch hinstellen und euch erklären, wie man richtig arbeitet. Aber seid euch bewusst, der- oder diejenige hatte noch nie schmutzige Hände vom Arbeiten.
Ich schwelge immer wieder in dieser erheiternden Erinnerung, wenn sich Berater:innen, Kader, oder rein durch die Hierarchie definierte Vorgesetzte vor mich hinstellen und mir erklären, wie ich, mit 30 Jahren Berufserfahrung, eigentlich arbeiten sollte. Und dies mit dem vollsten Brustton der Überzeugung, ohne eben selbst jemals schmutzige Finger vom Arbeiten bekommen zu haben.
Und doch scheint mir, dass immer weniger Kolleg:innen, Freund:innen und Blog-Leser:innen, diese Wirtschaftslenker:innen und ihre Firmen ernst nehmen würden.
Mit einer goldenen Uhr rechne ich nicht. Vielleicht wird es mir erlaubt sein, bis zum designierten Zeitpunkt meiner geplanten Pensionierung arbeiten zu dürfen. Aber da ich Gen-X bin, gelte auch ich wohl unterdessen als deutschsprachige, männliche Altlast.